Dienstag, 31. Mai 2011

Slow down and take it easy - Ein Pilgererfahrungsbericht

Wer kennt es nicht: Stress hier, Druck da, Arbeit dort, Hobbys hier, Termine da, Einladungen hüben und drüben. Unsere Wochen und vor allem die Wochenenden sind stets vollbepackt mit irgendwelchen Aktivitäten. So war es an der Zeit, mal wieder einen Gang runterzufahren und den Alltag etwas zu "entschleunigen". Gemeinsam mit unseren Freunden Carol und Pesche zogen wir los, um eine Etappe des Schweizer St. Jakobsweg zu begehen und bei dieser Gelegenheit mal wieder Zeit für intensive Gespräche, Spiel, Spass und Unterhaltung zu haben :-) An dieser Stelle sei erwähnt, dass Carol & Pesche erfahrene Pilger sind und bereits die halbe Schweiz auf den Spuren des erwürdigen Apostels Jakobus erkundet und dabei Demut erfahren haben...

Samstags in der früh, so gegen 7.00h, bestiegen wir in Bern den Zug in Richtung Nyon. Da ich dort gearbeitet und gewohnt habe, freute ich mich extrem, mal wieder in diesen Teil der Schweiz zu fahren. Kurz vor 10.00h trafen wir dann bei der Domaine de Bois-Bougy auf unsere Pilgerkameraden, welche bereits die Nacht zuvor in Nyon eingetroffen sind. Frohen Mutes zogen wir los um unserem Endziel Genf Stück für Stück näher zu kommen. Der St. Jakobsweg ist bestens beschildert und so folgten wir eifrig der grossen "4" und der noch grösseren Stundenangaben...Ein gut ausgebauter Wanderweg führte uns vorerst durch den "Bois-Bougy", ein schattenspendender Wald in der Nähe von Nyon. Es war noch sehr kühl morgens und so freuten wir uns, nach kurzer Zeit wieder an der Sonne wandern zu dürfen. Ebenso erfreulich wie die Sonne war der Blick auf den Genfersee und die unzähligen Weinreben am Wegrand. Ebenso erstaunlich wie ärgerlich war der Blick auf die überdimensionierten Villen am Wegrand. Kein Wunder spricht die ganze Schweiz von einer Überhitzung des Immobilienmarktes am Genfersee. Bauplakate verweisen auf Einfamilienhäuser, welche für läppische 2,5 Mio. am Entstehen und auch schon z.T. verkauft sind. Wahnsinnig! Unsereins wird wohl kaum in der Lage sein, ein solches Schnäppchen mit Seesicht zu erstehen. Aber wenn man bedenkt, wieviele internationale Firmen sich in der Léman-Region niederlassen, erstaunt es dann doch nicht so sehr...

Nach einer Kaffeepause in Crans-près-Céligny ging es weiter über Felder und Wiesen, vorbei an stattlichen Schlössern, Herrenhäuser und Apfelplantagen in Richtung Céligny, Bossey und Founex. Letzeres Dörfchen ist bekannt durch seinen feinen Rosé und Weisswein. Obwohl vielerort "cave ouvert" angeschrieben war, verzichteten wir auf eine Weindegustation und pilgerten weiter in Richtung Mittagessen. Der Hunger liess nämlich nicht lange auf sich warten und so freuten wir uns, nach weiteren ca. 1.5h Wanderstunden im Dörfchen Tannay den "Lion d'Or" anzutreffen. Ein nettes Restaurant auf dem ruhigen Dorfplatz. Einzig das Plätschern des Brunnens und das Dröhnen der sich im Landeanflug auf Genf befindenden Jets unterbrach die herrschende Stille. Wir gönnten uns ein ausgiebiges Mittagessen inkl. dem Bierchen gegen den ersten Durst und dem Rosé als Essensbegleiter. Die Gelüste waren unterschiedlich: von Tatar über Züri Geschnetzeltes bis hin zu Schafskäse und Entrecote war alles dabei! Die Terrasse lud eigentlich zum längeren Verweilen ein, aber wir zogen bald wieder los um uns Versoix zu nähern. Dort war nämlich das Nachtlager eingeplant. Wir haben zwar nichts gebucht, doch Pilgerführer Pesche war sich sicher, dass wir dort nicht im Heu oder auf einer Bank am See übernachten müssen. Die letzte Tagesetappe stand unter dem Motto "Urban Spotting". Wir durchquerten edle Villenviertel, schummrige Hinterhöfe, vorbei an Mietskasernen und noch edleren Villenviertel...unglaublich welch soziale Unterschiede es so nah aufeinander gibt.Angekommen im Dorf Versoix gönnten wir uns - wie könnte es anders sein - ein kühles Blondes am Genfersee. Eine Wohltat für Körper und Geist. Denn ganz ohne war die Wanderung nicht. Rund 20km an einem Tag; es ist lange her, seit ich sowas geleistet habe ;-)
Anschliessend begaben wir uns auf die Hotelsuche, resp. Pesche wusste bereits, dass wir das Des Balance anpeilen müssen. Zimmer gab es noch, preislich okay und auch vom Standard her akzeptabel als "Pilgergaststätte". Einziger und dafür umso grösserer Wehmutstropfen: unsere Zimmer waren gegen die extrem stark befahrene Hauptstrasse nach Genf gerichtet, was mir eine unsägliche Nacht einbrachte, trotz Ohrstöpsel!

Vor dem Schlafen schliefen wir auch. Nämlich ein erstes Nickerchen nach dem Check-in. Alle Wanderfreunde waren kurz und heftig weggenickt. Danach begaben wir uns unter die wohltuende Dusche und freuten uns aufs Nachtessen. Dieses fand - erstaunlicherweise - im lokalen Restaurant "Lion d'Or" statt. Ein gepflegtes Speiserestaurant mit einer netten Menükarte. Ich tat mich zwar bei der Wahl des Essens etwas schwer, entschied mich dann für Riesencrevetten mit Reis. Pesche und Jettli füllten ihre Kohlehydratespeicher mit Pasta auf und Carol entschied sich für die Nierli...mmmmmmh fein! Noch ein Dessert, ein Käfeli und ein Grappa und bereits war es - wie unter Pilgern üblich - Zeit, um vor dem Eindunkeln ins Bett zugehen...das war mir dann doch zu viel und ich holte bei Mustafa um die Ecke noch ein Bierchen und liess mich von Messi & Co verzücken und in den Schlaf hieven!

Wie gesagt, die Nacht war echt scheisse, aber das Aufwachen bereitete mir dann doch noch Freude. Kein Muskelkater gröberer Art, einzig eine etwas lädierte Ferse waren Resultat des ersten Tages. Nach einem kurzen Frühstück zogen wir bereits nach 9h weiter in Richtung Genf. Über Felder und Wiesen gelangten wir in den Genfer-Vorort Genthoud und von dort ziemlich lange der Bahnlinie entlang in den Stadtteil Bellevue. Auch hier zeigte sich der Luxus der Saudis und anderer Diplomaten und reichen Erdenbürgern. In Chambésy, etwas erhöht über dem See erwartete uns ein lohnender Ausblick in Richtung Mont Blanc. Das Ziel war nun nahe und bevor wir uns umschauen konnten, waren wir im Jardin Botanique am Stadteingang angelangt. Ein kleines Motivationsbierchen im Park und dann gings das letzte Stück der Seepromenade entlang in die Stadt hinein. Die pompöse Genfer Luxus-Hotellerie stand rechts von uns in Reih und Glied und begrüsste uns in Genf. President Wilson, Beau-Rivage, Kempinski um nur einige Top-Tempel zu nennen. Alle diesen Namen fanden wir dann auf der Heimfahrt auch im Hotelranking der Sonntagszeitung...Natürlich durfte auch der Blick auf den Jet d'eau nicht fehlen, im Hintergrund der Genfer Hausberg Salève. Noch ein paar hundert Meter und schon war der Gare Cornavin in Sichtweite. Müde aber glücklich und zufrieden erreichten wir die Bahnhofshalle wo wir kurz darauf den Speisewagen in Richtung Bern bestiegen. Natürlich liessen wir die Pilgertat mit einem feinen Plättli und einem Schluck Rosé ausklingen. Wir danken dem Herrn für seine Geduld mit uns, vom Aufgang der Sonne, bis zu ihrem Niedergang. Seid gelobet im Namen des Herrn, Amen ;-)

Merci meiner Reisetruppe - super gsi!


Château
Jettli, Carol & Pesche

Le jet d'eau à Genève





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